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Was ist eine Rekanalisation chronischer Verschlüsse?

Bei bis zu einem Drittel der Patienten mit einer Erkrankung der Herzkranzgefäße besteht zum Zeitpunkt einer Herzkatheteruntersuchung ein chronischer Verschluss eines Herzkranzgefäßes. Entsteht dieser Verschluss langsam, bilden sich Umgehungskreisläufe aus anderen Gefäßgebieten des Herzens, so dass kein Herzinfarkt entsteht. Da die Umgehungskreisläufe in ihrer Leistungsfähigkeit dem normalen Versorgungsweg unterlegen sind, kommt es bei diesen Patienten in vielen Fällen zu Angina pectoris unter Belastung.

Wenn sich Art und Länge des Verschlusses dafür eignen, kann der Verschluss mit speziellen Drähten, Mikrokathetern und Ballons passiert und behandelt werden. Um das Ergebnis dauerhaft zu sichern, ist immer der Einbau medikamentenbeschichteter Stents erforderlich.

Da durch das wiedereröffnete Gefäß die Blutversorgung des Herzens wieder ausreichend ist, verschwindet in vielen Fällen die Angina pectoris.

Linke Herzkranzarterie mit feinem Netz von Umgehungskreisläufen zur verschlossenen Hinterwandarteri

Historische Wurzeln und Entwicklung der Therapieform

Nach der Etablierung der Herzkatheteruntersuchung als Untersuchungsform zur Diagnose von Herzerkrankungen war es Andreas Grüntzig, der als erster Ballonkatheter für die Behandlung von Engstellen der Herzkranzgefäße beschrieb.

Da in der Anfangszeit der Therapie Material und Expertise nur begrenzt vorhanden waren, wies ein Teil der Patienten zum Zeitpunkt der Behandlung Verschlüsse eines Gefäßes auf, die aber erst seit kurzer Zeit bestanden. In den folgenden Jahrzehnten bildete sich eine Übereinstimmung heraus, dass man von chronischen Verschlüssen nur dann sprechen sollte, wenn ein Verschluss des Gefäßes seit mindestens drei Monaten vorliegt. Eine Wiedereröffnung eines seit längerer Zeit verschlossenen Gefäßes ist ungleich aufwendiger und langwieriger als die Behandlung von Engstellen und akuten Verschlüssen.

Bild einer chronisch verschlossenen Hinterwandarterie. Mit abgebildet sind zwei Schrittmachersonden, eine mechanische Aortenklappe und Drahtschlaufen, mit denen nach der Herzoperation das Brustbein verbunden wird.

Die Möglichkeit zur Wiedereröffnung chronischer Verschlüsse ging deshalb parallel zur Verbesserung der Gerätschaften, die von Medizinprodukteherstellern angeboten werden. Dabei wurden große Fortschritte im Design und der Herstellung von Führungsdrähten zur Passage des Verschlusses und der Miniaturisierung von Ballons und Mikrokathetern gemacht.
In der Behandlung chronischer Verschlüsse unterscheidet man dabei grundsätzlich zwei Behandlungswege: Eine Wiedereröffnung kann in Richtung des ursprünglichen Blutflusses („antegrad“) oder in Gegenrichtung über Umgehungskreisläufe („retrograd“) durchgeführt werden. Die retrograde Methode, die von Surmely und Mitarbeitern erstmals beschrieben wurde, erweiterte die Behandlungsmöglichkeiten und erlaubt eine Behandlung bei den etwa 15-20% der Patienten, bei denen eine antegrade Behandlung erfolglos bleibt.

Welche Herzkrankheiten werden damit behandelt?

Diese Behandlung kommt im Falle einer vorliegenden Koronaren Herzkrankheit mit chronischem Gefäßverschluss und Angina pectoris infrage.

Was wird bei der Therapieform gemacht und was bewirkt es?

Wird der chronische Verschluss eines Herzkranzgefäßes nachgewiesen, muss als erstes geklärt werden, ob in dem entsprechenden Versorgungsgebiet noch lebendes Herzmuskelgewebe vorhanden ist. Um diese Frage zu klären, kommen zur Anwendung: EKG, Lävokardiographie (Röntgenaufnahme mit Kontrastmittel in der linken Herzkammer), Ultraschall des Herzens, Myokardszintigraphie oder Magnetresonanztomographie des Herzens. Kann durch diese Verfahren bewiesen oder sehr wahrscheinlich gemacht werden, dass in dem Bereich des Gefäßverschlusses keine Narbe vorliegt und kommt es unter Belastung zu Angina pectoris, kann ein Versuch unternommen werden, das Gefäß wieder zu eröffnen. Die Durchführung einer Herzkatheter-Untersuchung, einer Ballonaufdehnung und einer Stentimplantation folgt grundsätzlich den dort beschriebenen Abläufen.

Werden chronische Verschlüssen behandelt, kommen Modifikationen der Standardtechniken zur Anwendung.

Da es im Regelfall erforderlich ist, den Gefäßabschnitt vor dem Verschluss und den Gefäßabschnitt nach dem Verschluss über seine Umgehungskreisläufe darzustellen, ist ein doppelter arterieller Zugang zum Gefäßsystem erforderlich. Dazu können beide Pulsarterien, eine Leistenarterie oder Kombinationen davon verwendet werden.

Als erster Schritt werden Katheter in beide Herzkranzgefäße vorgebracht und Kontrastmittel injiziert. Dies erlaubt es, die Art, die Länge des Verschlusses, etwaige Verkalkungen und einen gewundenen Gefäßverlauf darzustellen. Im Regelfall wird ein erster Eröffnungsversuch in Richtung des normalen Blutflusses („antegrad“) stattfinden. Dazu wird versucht, den Verschluss mit Drähten unterschiedlicher Härte und Beschichtung zu passieren. Gelingt dies, wird typischerweise dieser Draht über einen Mikrokatheter gegen einen in seiner Handhabung weniger gefährlichen Standarddraht ausgetauscht. Über diesen Draht wird der verschlossene Abschnitt dann stufenweise mit Ballons geweitet; die Behandlung wird durch den Einbau von beschichteten Stents, häufig mit einer anschließenden Nachdehnung mit Ballons abgeschlossen.

Gelingt es nicht, den Verschluss in Richtung des Blutflusses zu passieren, kann in einer neuen Sitzung versucht werden, den Verschluss aus Richtung des Umgehungskreislaufes zu behandeln („retrograd“). Voraussetzung dafür ist, dass ein geeigneter Umgehungskreislauf vorhanden ist, dass entsprechende Spezialmaterialien vorrätig sind und in der behandelnden Einrichtung ausreichende Erfahrung mit der Methode vorhanden ist.

Im Grundsatz beruht der Erfolg der Behandlungsmethode darauf, dass beim menschlichen Herzen Umgehungskreisläufe nicht so effektiv arbeiten, wie die ursprünglich angelegte Blutversorgung. Wird die Blutversorgung auf den ursprünglich angelegten Wegen wieder hergestellt, ist die Belastbarkeit der Patienten in der Folge gebessert, weil Angina pectoris entweder nicht mehr oder erst bei höherer Belastung auftritt. Häufig kann die Menge durchblutungsfördernder Medikamente nach der Behandlung reduziert werden. In jedem Fall erfordern die implantierten Stents, dass Medikamente zur Hemmung der Blutplättchenfunktion eingenommen werden. Außerdem müssen dauerhaft Medikamente eingenommen werden, durch die das Voranschreiten der Gefäßerkrankung verlangsamt wird.

Außer in speziellen Fällen werden wiedereröffnete Gefäße sechs Monate später in einer Herzkatheteruntersuchung auf den bleibenden Behandlungserfolg überprüft.

In unserem Herzzentrum führen wird sowohl antegrade, als auch retrograde Wiedereröffnungen von Herzkranzgefäßen durch. In jedem Fall wird dabei im Team mit den Herzchirurgen und Narkoseärzten überprüft, ob eine Behandlung im Herzkatheter oder eine Bypass-Operation das geeignetere Verfahren ist. Dies hängt davon ab, ob nur ein einzelnes oder mehrere Gefäße erkrankt sind und ob durch Begleiterkrankungen oder Voroperationen das Risiko für eine Bypass-Operation stark erhöht wäre.

Therapieschritte bei der Rekanalisation chronischer Verschlüsse

Über das Umgehungsnetzwerk ist der Draht bis an die Rückseite des Verschlusses vorgebracht worden. Mit einem Katheter wird Kontrastmittel in den Abgangsbereich der Hinterwandarterie eingespritzt. Man erkennt den Verschluss der Hinterwandarterie am Abgang.
Vor dem Eingriff. Darstellung der linken Herzkranzarterie mit Umgehungskreisläufen
Darstellung des Behandlungsergebnisses. Über die linke Herzkranzarterie sind noch ein Mikrokatheter und ein Führungsdraht vorgebracht.

Weitere Informationsmöglichkeiten

Deutsche Herzstiftung
herzstiftung.de

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
dgk.org

Patientenfassung der Versorgungsleitlinie
versorgungsleitlinien.de

Literaturempfehlung
Shah PB. Management of coronary chronic total occlusion. Circulation. 2011 Apr 26;123(16):1780-4.

Quellen

Zu Koronare Gefäßeingriffe